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REVIEWS / AWARDS
AWARDS Abortion Democracy - Poland/South Africa was awarded "BEST FILM BY A GERMAN FILMMAKER" at the XXIV. BLACK INTERNATIONAL CINEMA BERLIN 2009, the annual Intercultural/Interdisciplinary Film Festival in Berlin. (Interview with Sarah Diehl at the XXIV. Black International Cinema Berlin 2009: watch part 1 and part 2 of the interview in the Media-section.) REVIEWS / INTERVIEWS ARTIKEL WÄHLEN: IZ3W DIE STANDARD JUNGE WELT MÄDCHENMANNSCHAFT DIE TAGESZEITUNG MISSY MALMOE RADIO CORAX [MP3] MOTOR FM [MP3] UFO [MP3] CHOOSE ARTICLE: MAKE/SHIFT WORDS OF CHOICE THE MC GILL DAILY MS. MAGAZINE GIANNI VERDOLIVA RH REALITY CHECK iz3w (Informationszentrum 3. Welt) Die Zeitschrift für Politik, Ökonomie und Kultur zwischen Nord und Süd Nr. 312 - Mai/Juni 2009 In deinem Film vergleichst du die sehr unterschiedliche Situation in Südafrika und Polen. Welche Erkenntnisse lassen sich aus dem Vergleich gewinnen? Weshalb ist die Situation heute so unterschiedlich? Ich wollte zeigen, wie unterschiedlich das Thema Abtreibung in verschiedenen demokratischen Gesellschaften bewertet wird und wie sich das auf das Leben von Frauen auswirkt. Polen und Südafrika sind dafür gute Beispiele, weil beide Länder erst vor relativ kurzer Zeit ihre Abtreibungsgesetze geändert haben: Die Solidarnosc-Regierung in Polen hat Anfang der 1990er Jahre Abtreibung fast vollständig illegalisiert, um sich die Unterstützung der katholischen Kirche zu sichern. Südafrika hat sie im Zuge der Reform des Gesundheitssystems nach dem Ende der Apartheid legalisiert. Paradoxerweise ist es in Polen aber relativ leicht gegen die entsprechende Bezahlung, an eine sichere Abtreibung zu kommen. In Südafrika, wo Abtreibungen dagegen offiziell legal sind, haben es Frauen viel schwerer, Zugang zu Informationen und sicheren Eingriffen zu bekommen, weil die Mentalität des Gesundheitspersonals in den Krankenhäusern nach wie vor konservativ und die Gesundheitsversorgung allgemein eher schlecht ist. Ich wollte deutlich machen, dass es nicht die Legalität ist die die Abtreibungszahlen reguliert. Nur ein fundamentaler Wandel der Einstellung zu Abtreibung und Verhütung kann sicherstellen, dass Frauen tatsächlich die Möglichkeit haben, sich für oder gegen eine Schwangerschaft zu entscheiden. Wenn Ärzte sich aus moralischen Gründen weigern, den Eingriff durchzuführen oder die Pille herauszugeben, hilft es auch nicht, dass der Abbruch legal ist. Gleichzeitig führt die Illegalität nicht zu weniger Abtreibungen sondern nur zu drastisch vermehrten Todesfällen und Krankheiten, weil Frauen es dann selber machen. In deinem Buch wird die Abtreibungssituation in sehr vielen unterschiedlichen Ländern dargestellt. Kann man dennoch von einem gemeinsamen, übergreifenden Motiv sprechen, wegen dem Frauen die Kontrolle über ihren Körper verwehrt wird? Abtreibungsgegner kommen meistens entweder aus einem christlichen oder rechstkonservativen Millieu. Erstere sind der Überzeugung, dass ein Mensch von der Empfängnis an besteht und betrachten die Aufopferung in der Mutterschaft als essentielle Rolle der Frau. Zentral fungiert hier auch das Post-Abtreibungs-Syndrom (PAS), also die Behauptung von Abtreibungsgegnern, dass Frauen nach einem Abbruch prinzipiell traumatisiert sind oder gar suizidgefährdet sind. Man tut also so als würde man die Frauen nur vor ihrer Entscheidung schützen wollen. Diese Perspektive pathologisiert Frauen qua ihrer Biologie und behauptet, dass eine Schwangerschaft auszutragen, gleich in welcher Situation sich die Frau befindet, immer die gesündere Entscheidung sei. Was dabei natürlich nicht thematisiert wird, ist, wie Traumata gesellschaftlich durch die Anrufung eines Kindes und die individualisierte Schuldzuweisung an die Frauen erzeugt werden. Abtreibungsgegner versuchen selbst systematisch durch die Manipulation von Frauen vor Kliniken, und indem sie den Embryo/Fötus als Menschen mit bereits biografischen Zügen inszenieren diese Traumta bei Frauen zu erzeugen. PAS ist weltweit von keiner medizinischen oder psychologischen Organisation anerkannt und die American Psychological Association hat im Jahr 2006 in einer Studie festgestellt, dass die Zeit des größten Stress und Angst für ungewollt schwangere Frauen besteht, bevor sie die Abtreibung haben, wenn also die Unsicherheit besteht, ob und wie sie Zugang dazu haben werden und nicht danach. Laut WHO hat jede dritte Frau weltweit einen Schwangerschaftsabbruch; das Thema Abtreibung gehört zur Lebensrealität von Frauen dazu. Welche Rolle spielen Rechtskonservative? Ein Staat ist immer daran interessiert Einfluss auf die Bevölkerungszahl zu nehmen. Dass ein Staat wie in China wegen deren Ein-Kind-Politik auf Abtreibungen drängt ist die Ausnahme. Rechtskonservative argumentieren, dass die Selbstbestimmung der Frau zersetzend für die Nation wirkt, da nicht mehr genug "richtige" z.B. Deutsche gezeugt werden. Dies vermischt sich mit einem ausländerfeindlichen Diskurs: Ausländer überrennen "uns" mit ihren Kindern. Paradox ist hier also die Inszenierung von richtigen oder falschen Kindern; in der deutschen Debatte ist das ja derzeit sehr deutlich. Bedauerlicherweise ist diese Rhetorik in geschönter Form in der Mitte unserer Gesellschaft angekommen. Abtreibung wird hier immer symbolpolitisch eingesetzt, das zeigt sich auch besonders deutlich bei eugenischen Debatten. Um dem Vorwurf der Behindertenfeindlichkeit zu entgehen, gibt es offiziell keine eugenische Indikation in der BRD, dennoch hat der Staat ein Interesse daran. Eine behindertenfeindliche Gesellschaft, die sich nicht als solche darstellen will, macht dann eben diese Entscheidung zum persönlichen und organisatorischen Problem der schwangeren Frau bzw. dann Mutter. In diesem Zusammenhang ist auch sehr interessant wie Abtreibungsgegner Diskurse über Rassismus oder Eugenik als Argument benutzen, um gegen Familienplanung vorzugehen. Schwarze Jugendliche wurden von der Organiation Black Genocide und Pro-Life Union bezahlt, um mit Transparenten vor Planned Parenthood Kliniken in den USA zu protestieren. Der Vorwurf ist, dass PP die afroamerikanische Bevölkerung ausrotten wolle, weil sie Hilfsprogramme für schwarze Teenager haben. Eine Parallele hierzu findet sich in Europa: hier wird der Diskurs der Behindertenfeindlichkeit benutzt, um Abtreibung allgemein zu diskreditieren; aktuell mit der geplanten Gesetzesänderung des Paragraphen 218 von Johannes Singhammer (CSU). Hier werden v.a. Ärzte durch deren Kriminalisierung eingeschüchtert, sich mit dem Thema Abtreibung überhaupt noch zu beschäftigen, was bei der sinkenden Zahl von Abtreibungsärzten ein großes Problem darstellt. Man muss dazu wissen, dass Abtreibungsgegner seit Jahren systematisch daran arbeiten Schlupflöcher zu nutzen, um den Zugang zu Abtreibungen zu erschweren und Abtreibung allgemein zu diskreditieren. Die Rhetorik der Behindertenfeindlichkeit und des Rassismus kommt ihnen da sehr recht. Wie ist die Situation in der EU und welche Rolle spielt hier ein Nationalismus? Polen, Malta und Irland sind die EU-Länder, wo Abtreibung am restriktivsten geregelt sind. Ich denke eine Motivation hierfür liegt auch in dem Wunsch, sich in der EU als autonom zu positionieren und sich nichts sagen zu lassen. Abtreibung wird benutzt, um sich mit einer Projektion auf "Lebensschutz" als moralisch überlegen zu inszenieren. Es wird also auch als Inszenierung der nationalen Identität benutzt. Aber Politiker fassen dieses Thema ungern an, wenn es um die Perspektive der Frauen geht. Jeden Tag reisen statistisch gesehen 17 irische Frauen für einen Abbruch nach England. Aber anstatt dies in der EU zu skandalisieren und bestimmte Standards bezüglich Frauenrechte zu setzen werden andere Lösungen unter der Hand gesucht. England hat mit 24 Wochen die am weitesten gefasste Fristenlösung in Europa. Im Jahr 2006 wurde diese Frist neu diskutiert, um die neuen medizinischen Erkenntnisse über die Schmerzempfindlichkeit und Fähigkeit zum Bewusstsein beim Fötus mit einzubeziehen. Eine Kommission kam zu dem Schluss, dass die 24 Wochen Frist nach den neuen medizinischen Erkenntnissen gerechtfertigt sei, als weiterer Vorteil dieser Frist wurde aber auch genannt, dass die Situation irischer Frauen berücksichtigt werden müsse, die mehr Zeit bräuchten um die Reise nach England und das Geld für den Abbruch zu organisieren. Ein Schwerpunkt deiner Untersuchungen ist Afrika. Wie hat sich der Kolonialismus bezüglich Abtreibung ausgewirkt? Das ist natürlich bis heute eng verzahnt mit der internationalen Bevölkerungspolitik, die weiß und männlich geprägt ist, während das "Interventionsobjekt" weiblich ist. Der Kolonialismus und seine Bevormundung und Entrechtung wirkte sich auch in Bezug auf die körperliche Selbstbestimmung von Afrikanerinnen aus. Aber die Interventionen des Vatikans hat es zu einem sehr ambivalenten Feld gemacht und die meisten Staaten und Organisation schrecken neben untergeordneten zivilgesellschaftlichen Debatten vor einer eindeutigen Haltung gegenüber der Organisation der Reproduktion zurück. Festzustellen ist aber, dass Gesetze, die Abtreibungen sanktionieren erst von den Kolonialverwaltungen, beeinflusst von christlichen Missionen, eingeführt wurden. Diese restriktiven Gesetze regulieren die Körper schwarzer Frauen bis heute. Kann man pauschal von einer Abtreibungs- und frauenfeindlichen Rolle der Religion sprechen? Für Frauen gibt es aus den christlichen Moralvorstellungen meistens keinen heilen Weg raus. Ihre Körper werden immer mit Scham, Schuld und Sünde gezeichnet. Man kann Abtreibungen kritisch gegenüberstehen, aber man darf die Augen nicht davor verschließen, dass laut WHO jedes Jahr etwa 60.000 bis 80.000 Frauen an einer illegalen Abtreibung sterben, da sie keinen Zugang zu einer sicheren in einer Klink hatten und das weitere 5.000.000 Frauen an daraus resultierenden Infektionen leiden. Man muss die Realität anerkennen, dass diese Frauen sich aus sozialen und ökonomischen Problemen heraus oder gerade auch weil christliche Gesellschaften unverheiratete Mütter stigmatisieren, so in die Enge getrieben fühlen, dass sie bereits sind, ihr Leben bei einer unsicheren Abtreibung zu riskieren. Diese Frauen sind oft bereits Mütter, das wirkt sich also auch negativ auf ihre Kinder aus. Dieser Gesamtkontext fehlt bei den christlichen Debatten aber leider. Es gibt wenige christliche Organisationen wie z.B. Catholics for Choice, die das sehr empfehlenswerte Magazin conscience herausgeben, die sich für das Recht von Frauen auf Selbstbestimmung einsetzen. Das zeigt, dass es möglich ist, sich als Gläubiger der Lebensrealität von Frauen zu stellen und nicht an Idealen festzuhalten, die letztendlich zu Unmenschlichkeit führen. Welche Möglichkeiten gibt es für Frauen, ohne staatliche Reglementierung oder ärztliche Hilfe abzutreiben? Wie können Mittel und Wissen den Frauen zugänglich gemacht werden? Eine Abtreibung ist mit den richtigen Mitteln ein sehr einfacher und sicherer Eingriff. Deshalb gibt es auch bereits zwei Länder, nämlich Südafrika und Vietnam, in denen Hebammen und Krankenpfleger Abtreibungen machen können. Das halte ich in Anbetracht dessen, dass immer weniger Ärzte Abtreibungen machen, für die richtige Entwicklung. Wenn die Frauen die Möglichkeit und das Wissen zur Selbsthilfe hätten, könnte auch in Ländern, in denen der Abbruch illegal ist viel Leid verhindert werden. Mir stellt sich da natürlich die Frage, wie es dazu kommen konnte, dass das Wissen um ihren Körper so aus den Händen der Frauen gerissen wurde, dass sie sich rechtlichen und medizinischen Regelungen komplett ausgeliefert sehen. Aber es gibt Schlupflöcher, die mehr publik gemacht werden müssten: Misoprostol z.B. ist ein Medikament, dass in diesen Ländern benutzt wird, aber auch in den USA, wenn Frauen sich wegen den Klinikprotesten von Abtreibungsgegnern nicht mehr trauen eine legale Abtreibung zu organisieren, was immer häufiger vorkommt. Es ist eigentlich für die Behandlung von Hautgeschwülsten entwickelt worden und ist in Apotheken frei erhältlich. Die women on waves, die mit einem Schiff in Länder fahren, um Frauen die Möglichkeit zu einem sicheren Abbruch in internationalen Gewässern zu ermöglichen haben auf ihrer webseite einen Service eingerichtet, bei dem Frauen aus allen Ländern dieses Medikament bestellen können. Anschließend werden sie online von einer Ärztin betreut. Sollte es dann Komplikationen geben, können die Frauen in eine Klinik gehen und behaupten sie hätten eine Fehlgeburt gehabt. In Südafrika waren vor der Legalisierung übrigens 50% aller gynäkologischen Fälle in Kliniken selbstgemachte Abtreibungen. Die Zahl ist in Ländern mit restriktiver Gesetzgebung normal. Es gibt aber auch in Deutschland Fälle, wo arme und illegalisierte Frauen versuchen, selbst einen Abbruch vorzunehmen. Das wird aber nicht dokumentiert. Welche Bedeutung hat die Abschaffung der GAG-Rule durch die neue US-Regierung? Die GAG Rule, die seit den 80ern bewirkt, dass die USA keine Gelder an NGOs gibt, die Informationen über Abtreibung bereit stellen, bewirkte das Gegenteil von dem was sie angeblich intendierte. Der Wegfall von Finanzierungsmöglichkeiten von NGOs was sich auch Sexualaufklärung und Verteilung von Verhütung beschränkte, verursachte mehr ungewollte Schwangerschaften. Dies macht nun mal mehr deutlich, dass es Politiker beim Thema Abreibung um den schönen Schein geht, statt um die realen Konsequenzen ihrer Gesetze. Obama hat die GAG Rule nun abgeschafft aber wenn die nächste konservative Regierung gewählt ist, wird sie sie wieder einsetzten. Die dadurch entstehende mangelnde Planungssicherheit wirkt sich sehr kontraproduktiv für NGOs aus. Wie gehen Menschenrechts- und Entwicklungshilfe-NGO mit dem Thema Abtreibung um? Leider schrecken viele NGOs davor zurück, sich mit dem Thema zu beschäftigen, da sie befürchten Spendengeber zu vergraulen. Amnesty International ist dafür z.B. bekannt. Andere NGOs haben auch Angst mit den bestehenden Gesetzen des Landes in dem sie arbeiten in Konflikt zu kommen. Deswegen sind auch Organisationen wie Ärzte ohne Grenzen dabei die Hände gebunden. Gleichzeitig gibt es sehr gut organisierte Abtreibungsgegner wie Human Life International oder Doctors for Life, die gezielt versuchen Programme in afrikanischen und lateinamerikanischen Ländern machen. Entwicklungshilfe ist für sie ein leichtes Experimentierfeld, weil sie sich als Hilfsorganisation inszenieren, tatsächlich aber gegen die Etablierung von Frauenrechten arbeiten Solche Organisationen sind zudem auch gegen Verhütung, Homosexualität und die Legalisierung von Sexarbeit. Abtreibungsgegner haben von den Erfolgen in den USA gelernt und versuchen international mit manipulativen Hilfsangeboten für ungewollt Schwangere und Lobbyarbeit bei Politikern, Anwälten und Mediziner die Diskurshoheit zu gewinnen. Ich glaube, da kommt in den nächsten Jahren noch einiges auf uns zu. - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - dieStandard 24.01.08 Sich dem "natürlichen" Schicksal verweigern. Sarah Diehl, Herausgeberin der Anthologie "Deproduktion. Schwangerschafts- Abbruch im internationalen Kontext", im Interview Von Vina Yun die Standard Im Sammelband "Deproduktion. Schwangerschaftsabbruch im internationalen Kontext" werden historische Entwicklungen und gegenwärtige Politiken in verschiedenen Ländern u.a. in Argentinien, Südafrika, Eritrea, Nigeria, Nicaragua und den USA mit Analysen medialer Bilder sowie persönlichen Erfahrungsberichten zum Thema Abtreibung zusammengeführt. Die Vielfalt der Beiträge in "Deproduktion" zeigt nicht nur auf, wie anhand des umstrittenen Themas Schwangerschaftsabbruch herrschende Vorstellungen von Weiblichkeit und Reproduktionsarbeit von Frauen gesellschaftlich verhandelt werden, sondern macht zudem deutlich, dass das "Recht jedes Menschen auf reproduktive Gesundheit", das auf der Internationalen Konferenz über Bevölkerung und Entwicklung in Kairo 1994 ratifiziert wurde, vielerorts sowohl in den Ländern des "Westens" als auch in jenen des "Südens" noch immer nicht eingelöst ist. Zusammengestellt wurde der Sammelband von der Berliner Autorin und Kulturwissenschafterin Sarah Diehl, die 2004 auch die Anthologie "Brüste kriegen" (Verbrecher Verlag, Berlin 2004) herausgab. Derzeit arbeitet sie am Dokumentarfilm "Abortion Democracy", der die gesetzlichen Regelungen zur Abtreibung in Südafrika und Polen vergleicht und im Sommer 2008 fertiggestellt werden wird. dieStandard.at: Wie kam es zur Entstehung der Anthologie "Deproduktion" und welche Motivation steht dahinter? Sarah Diehl: Bei meiner Arbeit an der Anthologie "Brüste Kriegen", die Kurzgeschichten und Interviews rund um die Frage "Wie werden Kinder zu Frauen?" beinhalten, wurde mir klar, dass man anhand des Themas Abtreibung viele Probleme in der Reproduktionsarbeit aufzeigen kann. Mir fiel aber auch auf, dass es vor allem keine deutschsprachigen Publikationen gibt, die sich dem Thema in einem internationalen Kontext annehmen. Obwohl etwa ein Drittel aller Frauen weltweit in ihrem Leben wenigstens eine Abtreibung hat, ist deren Erfahrung immer noch kein Thema, das gesellschaftlich Raum einnimmt. In der Literatur, in Spielfilmen und in der Kunst gibt es nur sehr rare Beispiele für eine Auseinandersetzung mit der Thematik. Und politisch und moralisch werden abstrakte Diskussionen geführt, die dann von den Frauen ausgebadet werden müssen. Frauen haben oft nur die Möglichkeit ihre Erfahrungen mit Abtreibung im Zerrspiegel der moralischen, religiösen und politischen Kämpfe zu erleben. Welche Konsequenzen hat die Illegalisierung von Abtreibung, wie sie wiederholt eingefordert wird bzw. in jüngster Zeit auch in einigen Ländern (siehe Nicaragua) tatsächlich durchgesetzt wurde? Man kann feststellen, dass Frauen, wenn sie sich aus ökonomischen oder sozialen Gründen dazu gezwungen sehen, abzutreiben, es auch tun. Das Verbot von Abtreibungen hat zum einen sehr viel mit dem Einfluss der Kirche zu tun und damit, in wie weit die Frau und ihre Reproduktionsfähigkeit noch als Eigentum des Mannes bzw. der Familie oder des Staates gesehen wird, zum anderen mit der Qualität der medizinischen Versorgung im jeweiligen Land. Eine Studie der WHO besagt, dass weltweit alle sieben Minuten eine Frau an einem medizinisch nicht fachgerecht durchgeführten Abbruch stirbt, da die gesetzlichen Bestimmung ihres Landes diesen verbieten. Damit sind unsichere Schwangerschaftsabbrüche der Hauptgrund für die Sterblichkeit von schwangeren Frauen. Zugleich ist Abtreibung in vielen Ländern ein lukratives Geschäft geworden, weshalb ärztInnen oft gar kein Interesse an deren Legalisierung haben, da illegale Abbrüche wegen der Erpressbarkeit der Frauen ein gutes Nebeneinkommen gewährleisten. Die Debatten um Abtreibung sind ja von einem hohen Ma¤ an Bigotterie geprägt: Frauen wird die Verantwortlichkeit für ihre Gebärfähigkeit und ihre Kinder aufbürdet oder sie werden sozial stigmatisiert und der Gefahr der Verelendung aussetzt, Mittel zur Familienplanung werden ihnen aber untersagt. Kann das Thema Schwangerschaftsabbruch ohne die Themen Bevölkerungspolitik und neue Reproduktionstechnologien überhaupt diskutiert werden? Nein, das sollte es nicht, da bei der Befürwortung oder dem Verbot von Abtreibung der Staat auch immer ein bevölkerungspolitisches Interesse verfolgt. Es kann auch nicht darum gehen, Abtreibung unter allem Umständen als befreiend für die Frau darzustellen, denn oft werden Schwangerschaftsabbrüche auch notwendig, damit andere Probleme wie z.B. ökonomische Abhängigkeit, Armut, Prekarität, soziale Stigmatisierung und die Diskriminierung von Behinderung nicht verhandelt werden müssen. Wie lassen sich die Strategien der AbtreibungsgegnerInnen in internationaler Perspektive miteinander vergleichen? Wenn AbtreibungsgegnerInnen keine Chance sehen, gegen das legale Recht auf Abbrüche vorzugehen, dann versuchen sie das Gesundheitspersonal auf ihre Seite zu ziehen oder unter Druck zu setzen. ärzte und Krankenpersonal haben z.B. die Möglichkeit durch das Verlangen von unnötigen Dokumenten, falsche oder manipulative Informationen, Vermittlung von Schuldgefühlen etc. direkt auf den Zugang von Frauen zu sicheren Abbrüchen einzuwirken. In manchen europäischen Städten wie Salzburg oder Passau haben sich ärztInnen bereits kollektiv geweigert Abtreibungen durchzuführen. Das Argument der "moralischen Bedenken" weitet sich in einigen Ländern paradoxerweise sogar auf Verhütungsmittel aus das Mittel, mit dem man ungewollte Schwangerschaften und somit Abbrüche am besten vermeiden kann. Dies geht so weit, dass AbtreibungsgegnerInnen es mit ihrer Lobbyarbeit schafften, dass in den USA bereits in drei Bundesstaaten Gesetze verabschiedet wurden, die ApothekerInnen erlauben, aus moralischen Bedenken die Herausgabe von Verhütungsmitteln und der so genannten Pille danach zu verweigern. Dass 2004 in Texas sogar ein Apotheker in einem Fall von Vergewaltigung die Herausgabe der Pille danach verweigerte, gibt einen beunruhigenden Ausblick darauf, wie die reproduktiven Rechte von Frauen mit dem Argument ethischer Befindlichkeiten des Gesundheitspersonals auf dem Spiel stehen. Festzustellen ist auch, dass die wichtigsten und griffigsten Domains bzw. Internetadressen zum Thema Abtreibung von deren GegnerInnen in Beschlag genommen worden sind. Sites von rechtskonservativen AbtreibungsgegnerInnen sind oft derart gestaltet, dass sie sich als Hilfsangebote für Frauen und coole Teenagersites verkleiden, um Meinungshoheit zu erlangen. Offensichtlich ist das Thema Abtreibung von feministischen Gruppen in Bezug auf die Informationspolitik im Internet bisher vernachlässigt worden. Bei einem Thema wie Abtreibung, das so emotional augeladen ist, ist es auch leicht mittels Bilder zu manipulieren. Denn unabhängig davon, was in einem Fötus wann funktioniert oder wie schmerzempfindlich dieser ist, sieht er bereits in einem sehr frühen Stadion menschenähnlich aus, weshalb seine Darstellung leicht zu populistischen Zwecken missbraucht werden kann und wird. In der Einleitung zur Anthologie schlagen Sie vor, das Thema Abtreibung verstärkt mit der Dekonstruktion herrschender Geschlechterrollen zusammen zu denken. Auf welche Weise können reproduktive Politiken aus einer antiessenzialistischen Position betrieben werden? Die Institution der Heterosexualität bezieht ihre natürliche Legitimation vor allem aus der zweigeschlechtlichen Reproduktion. Diese zu unterlaufen, die gesellschaftliche Konstruktion von Mütterlichkeit und Väterlichkeit zu hinterfragen und sich dem "natürlichen" Schicksal und der heterosexistischen Arbeitsteilung durch einen Schwangerschaftsabbruch zu verweigern, sind für die Dekonstruktion der Kategorie Gender sehr hilfreiche Tools. Ein biologistisches Konstrukt wie der "Mutterinstinkt" kann angesichts der Abbruchzahlen nicht aufrechterhalten werden. Die Einforderung einer geschlechtergerechten Arbeitsteilung in der Pflege und Erziehungsarbeit kann durch die selbstverständliche und nicht moralisch verklärte Einforderung des Abbruchs unterstützt werden, da sie Frau emotional weniger erpressbar macht. - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - Junge Welt 21.11.08 Ein Menschenrecht Sarah Diehls Film"Abortion Democracy" zeigt: Liberale Gesetze allein sind keine Hilfe für Frauen in Not. Restriktive Bedingungen begünstigen Geschäftemacher Von Yvonne Klomke Liz ist obdachlos und übernachtet gemeinsam mit anderen schwangeren jungen Frauen in einem Einkaufszentrum in Kapstadt. Sie ist vergewaltigt worden. Erst bei einer ärztlichen Untersuchung erfährt sie, daß sie schwanger ist. Da ist sie schon im vierten Monat und eine legale Abtreibung nicht mehr möglich. "Ich würde es sogar selbst machen. Vielleicht ein Seil um meinen Bauch ziehen", sagt sie, und: "Ich weiß, es klingt schlimm, aber es ist mein einziger Ausweg." Dabei lebt Liz in Südafrika, einem Land, das seit 1997 eines der weltweit liberalsten Abtreibungsgesetze hat. Doch ein liberales Gesetz auf dem Papier verschafft Frauen nicht automatisch ihr Recht auf Selbstbestimmung, wie Sarah Diehls Film "Abortion Democracy - Poland/South Africa" zeigt. Ihre Dokumentation stand im Mittelpunkt einer Veranstaltung der Linksfraktion im Bundestag unter dem Motto "Frauen in der Zange von Kirche, Staat, Tradition und Armut" vergangene Woche im Berliner Reichstagsgebäude. Diehl reiste nach Polen und Südafrika, um mit Frauenrechtlerinnen, medizinischem Personal und Betroffenen zu sprechen und zu ergründen, warum es in Polen einfacher ist, einen illegalen Schwangerschaftsabbruch zu bekommen als in Südafrika einen legalen. Entstanden ist ein sehr informativer und sehenswerter Film. Die Geschichte von Liz zeigt dabei, daß eine liberale Abtreibungsregelung ungewollt Schwangeren wenig hilft, wenn sie nicht mit umfassender Aufklärung einhergeht. So hatte Liz vier Monate lang die Anzeichen ihrer Schwangerschaft einfach nicht erkannt. Dem Land fehlt es - ein Erbe der Apartheid - an medizinischer Infrastruktur mit Kliniken und Familienplanungszentren, die Sexualaufklärung leisten, Frauen über ihre reproduktiven Rechte informieren, Verhütungsmittel ausgeben. Außerdem weigern sich auch in Südafrika viele Mitarbeiter des Gesundheitswesens, Abtreibungen vorzunehmen, die einen aus "moralischen und religiösen Gründen", andere aus Angst um ihren Ruf. Die wenigen Ärzte, Hebammen und Krankenpfleger, die es tun, werden häufig nicht nur von den eigenen Kollegen ausgegrenzt, sondern auch öffentlich als "Mörder" beschimpft. Das Beispiel Südafrika kontrastiert Diehl mit Polen, wo sich Frauen tatsächlich in der Zange von Kirche und Staat befinden. Unter tätiger Mithilfe der einflußreichen katholischen Kirche wurde 1993 das seit 1956 geltende liberale Abtreibungsgesetz abgeschafft und eine der weltweit strengsten Regelungen eingeführt. Nur bei Schwangerschaften durch Vergewaltigung oder Inzest, bei einer unheilbar schweren Behinderung des Fötus sowie bei Gefahr für Leben und Gesundheit der Frau ist ein Abbruch gesetzlich erlaubt. Doch garantiert ist er damit noch lange nicht, wie der öffentlich bekannt gewordene Fall von Alicja Tysiac zeigt. Tysiac, zum Zeitpunkt ihrer Risikoschwangerschaft bereits Mutter zweier Kinder, wurde eine legale Behandlung in einem Warschauer Krankenhaus verweigert, obwohl eine gravierende Gefahr für ihr Augenlicht bestand. Infolge der Geburt des Kindes ist sie nun fast blind. Das gesellschaftliche Klima ist dermaßen restriktiv und konservativ, daß 2007 eine von der Tageszeitung Gazeta Wyborcza geplante Selbstanzeige-Kampagne nach dem Vorbild der 70er-Jahre-Aktionen in Frankreich und der Bundesrepublik unter dem Motto "Ich habe abgetrieben" scheiterte. Keine Frau wollte sich öffentlich zu einem Schwangerschaftsabbruch bekennen. Andererseits aber werben Pharmazieunternehmen in Polen überall für die "Pille danach", und Ärzte bieten in Zeitungen ganz offen ihre "Dienstleistungen" an - zu entsprechend hohen Preisen. Schätzungen gehen davon aus, daß jährlich nur etwa 150 legalen Abtreibungen bis zu 200000 illegale gegenüberstehen. Sexualkundeunterricht an polnischen Schulen wurde durch Religionsstunden ersetzt, der Zugang zu Verhütungsmitteln ist eingeschränkt. Die Restriktionen sollen nun sogar noch verschärft werden. Im August dieses Jahres kündigte die polnische Gesundheitsministerin ein Gesetz an, das Ärzte verpflichten soll, alle schwangeren Patientinnen an eine Datenbank zu melden. Dies soll die Suche nach Frauen, die einen illegalen Abbruch hatten, erleichtern. Eine starke und handlungsfähige Frauenbewegung hat sich bisher in Polen nicht entwickelt. Polen und Südafrika stehen im Film stellvertretend für viele andere Länder, in denen das Selbstbestimmungsrecht von Frauen über den eigenen Körper massiv verletzt wird. - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - die tageszeitung 14.7.2009 "Abtreibung hat keine starke Lobby" FRAUENFEINDLICHE MEDIZIN von Bianca Schroeder Illegal abzutreiben ist in Polen leichter als legal in Südafrika. Letztlich ist die Haltung der Ärzte wichtiger als das Gesetz, sagt Sarah Diehl. Ihr Film "Abortion Democracy" läuft heute im Babylon. In Ihrem Film vergleichen Sie die Situation des Schwangerschaftsabbruchs in Polen und Südafrika. Wie ist Ihr Intereße an dem Thema entstanden? Ich habe 2004 eine Anthologie mit dem Titel "Brüste kriegen" herausgegeben, in der Autorinnen über ihre Pubertät sprechen. Es geht darin auch um Abtreibung. Mir wurde klar, wie wenig die Erfahrung von Frauen damit in den Medien repräsentiert ist. Auch die Auswahl an Büchern zum Thema fand ich enttäuschend. Also habe ich mich entschlossen, selbst ein Buch herauszugeben, das Abtreibung in größeren gesellschaftlichen Zusammenhängen und in internationaler Perspektive behandelt. "Deproduktion - Schwangerschaftsabbruch im internationalen Kontext" ist 2007 erschienen. Alarmierend war für mich die Statistik der WHO, dass weltweit alle sieben Minuten eine Frau an einer unsicheren, weil illegalen, Abtreibung stirbt. Das ist deshalb besonders dramatisch, weil dies medizinisch so leicht zu verhindern wäre, aber die Politik sich dagegen stellt. Um weiterhin auf diese Mißstände hinzuweisen, habe ich den Film "Abortion Democracy: Poland/South Africa" gedreht. Darin stellen Sie die Situation in Polen, wo der Schwangerschaftsabbruch 1994 verboten wurde, der in Südafrika gegenüber, wo er 1996 legalisiert wurde. Was sind die wichtigsten Erkenntnisse, die Sie aus diesem Vergleich mitgenommen haben? Interessant ist vor allem das Paradox, dass illegale Abtreibungen in Polen leichter zu bekommen sind als legale in Südafrika. Das macht deutlich, dass die Haltung des Gesundheitspersonals letztlich wichtiger ist als die Gesetzeslage. In Südafrika lehnen viele Ärzte und Schwestern Abtreibungen aus Gewissensgründen ab. Tatsächlich spielt die Rufschädigung unter den Kollegen eine mindestens ebenso wichtige Rolle. In Polen hingegen bieten Ärzte illegale aber fachgerechte Abtreibungen gegen ein hohes Honorar an. Würden Sie sagen, daß das südafrikanische Gesetz an der Realität scheitert? Teilweise ist es durchaus als Erfolg zu bewerten. So ist die Todesrate nach selbstgemachten Abtreibungen um 90 Prozent zurückgegangen. Aber die medizinische Versorgung ist schlecht und immer weniger Ärzte nehmen Abtreibungen vor. Das wird sich in nächster Zeit auch kaum ändern, denn das Thema Abtreibung hat derzeit keine starke Lobby. Viele der Frauenrechtlerinnen, die in den 90ern für die Legalisierung engagiert waren, widmen sich mittlerweile anderen, öffentlichkeitswirksameren Themen wie der HIV-Prävention. Im Film interviewen Sie eine junge Südafrikanerin, die ungewollt schwanger geworden ist, deshalb von ihrer Familie aus dem Haus geworfen wurde und nun auf der Straße lebt. Sie hatte ihre Schwangerschaft zu spät entdeckt, um noch einen Abbruch vornehmen zu laßen. Wißen Sie, was aus ihr geworden ist? Leider nicht, denn sie hat kein Telefon und keine E-Mail-Adresse. Ein Freund von mir hat sie letztes Jahr noch einmal zufällig gesehen, ohne Kind. Wir nehmen an, daß sie es zur Adoption freigegeben hat. Ich denke, bei ihr ist es so wie bei vielen Straßenkindern, die schon eine solche Autonomie entwickelt haben, daß sie mit Hilfsprojekten nichts zu tun haben wollen. Das Thema Abtreibung hängt eng mit dem sexueller Aufklärung zusammen. Gibt es so etwas in den polnischen und südafrikanischen Schulen? In Südafrika gibt es viele Projekte an den Schulen, häufig initiiert von nichtstaatlichen Organisationen, die sich der HIV-Prävention widmen und auch Kondome verteilen. Das Thema Sexualität ist allerdings immer noch mit viel Scham besetzt und oft nicht Teil des regulären Unterrichts. In Polen findet an Schulen gar keine Aufklärung mehr statt, stattdeßen gibt es Religionsunterricht. Außerdem ist seit dem Abtreibungsverbot die Angst vor einer ungeplanten Schwangerschaft so hoch, daß Frauen viel häufiger als nötig die Pille danach nehmen, was gesundheitlich bedenklich ist. An wen richtet sich Ihr Film? Ich habe ihn bislang vor allem an Unis in Deutschland, Österreich, den USA , Kanada und Moskau vorgeführt. Die Zuschauer dort waren vor allem Studenten, künftig möchte ich aber auch verstärkt medizinisches Personal ansprechen. Ich würde gern dazu beitragen, daß Abtreibung in der Medizin kein Außenseiterthema mehr ist, sondern als normaler Bestandteil des Gesundheitsangebotes gesehen wird. Bislang ist das in kaum einem Land der Fall. Auch in Deutschland ist der Schwangerschaftsabbruch kein regulärer Bestandteil der gynäkologischen Ausbildung. Halten Sie die gesetzliche Lage zum Schwangerschaftsabbruch in Deutschland für zufrieden stellend? Nein, denn nur eine komplette Entkriminalisierung kann der ganzen Heuchelei entgegenwirken. Es gibt hier eine große Diskrepanz zwischen der Moralität des Gesetzes und der Umsetzung. Viele wissen ja gar nicht, daß der Schwangerschaftsabbruch illegal und nur in bestimmten Fällen straffrei ist. Vor allem in ländlichen Gebieten stellt ein Abbruch ein logistisches Problem für die Frau dar. Beunruhigend finde ich, daß es immer weniger Ärzte gibt, die Abtreibungen anbieten und es gibt nach us-amerikanischem Vorbild zunehmend Angriffe auf Kliniken. Womit befaßt sich Ihr nächstes Projekt? Ich plane derzeit einen Film mit dem Titel "Pregnant Journeys". Darin geht es um Frauen, die in andere Länder reisen, um eine legale und sichere Abtreibung vornehmen zu laßen. Ich werde zum Beispiel Frauen aus Polen und Irland begleiten, die für eine Abtreibung nach England reisen, oder von Botswana nach Südafrika. Dabei wird deutlich, daß die Illegalität nicht etwa dazu führt, daß Frauen ungewollte Kinder austragen. Die Folge ist nur, daß die Organisation des Eingriffs länger dauert und die Frauen zum Zeitpunkt des Abbruchs häufiger schon im zweiten Trimester sind, wenn die Schmerzempfindlichkeit des Fötus beginnt und es für die Frau gesundheitsschädlicher sein kann. - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - Interview mit Sarah Diehl erschienen auf http://maedchenmannschaft.net 1. Dein Dokumentarfilm "Abortion Democracy: Poland/South Africa" ist gerade erschienen. Warum hast du dich auf die Länder Polen und Südafrika beschränkt? Die beiden Länder stehen exemplarisch dafür, wie unterschiedlich Frauenrechte in einer Demokratie beurteilt werden: Die Solidarnosc Regierung in Polen hat Anfang der 90er Jahre Abtreibung fast vollständig illegalisiert, da sie sich somit die Unterstützung der katholischen Kirche sichern wollte. Südafrika hat es im Zuge der Reform des Gesundheitssystems nach dem Ende der Apartheid legalisiert, da sie die Ungerechtigkeit und Notwendigkeit gerade für arme Frauen anerkannten. Das Interessante ist, dass die Zahl der Abtreibungen und der Zugang zu sicheren Eingriffen nicht nur damit zusammen hängen, ob Abtreibungen legal oder illegal sind. In Polen ist es etwa trotz der Strafbarkeit relativ leicht, an eine illegale aber sichere Abtreibung zu kommen: für ein entsprechend hohes Honorar bieten viele Ärzte - die deshalb auch ein großes Interesse haben, dass Abtreibung illegal bleibt und sich auch öffentlich gegen Abtreibung aussprechen - den Eingriff an. In Südafrika, wo Abtreibungen dagegen offiziell legal sind, haben es Frauen oft schwer, Zugang zu Informationen und sicheren Eingriffen zu bekommen, weil die Mentalität des Gesundheitspersonals nach wie vor konservativ und wertend ist und die Gesundheitsversorgung allgemein sehr schlecht ist. Bei meiner Recherche habe ich erkannt, dass nur ein fundamentaler Wandel der Einstellung zu Abtreibung und Verhütung sicherstellen kann, dass Frauen tatsächlich die Möglichkeit haben, sich für oder gegen eine Schwangerschaft zu entscheiden. Wenn Ärzte sich aus moralischen Gründen weigern, den Eingriff durchzuführen oder die Pille herauszugeben, hilft auch eine gesetzliche Legalität des Abbruchs nicht. Außerdem wird Abtreibung oft von politischen Parteien instrumentalisiert, um Wählerstimmen zu bekommen, - das passiert vor allem in Nord- und Südamerika ganz massiv -denn es ist immer leicht sich als "Lebensschützer" zu inszenieren, wenn man die Perspektive und das Leiden der Frauen verschweigt. 2. Viele Frauen kommen in deinem Film zu Wort und sprechen vor der Kamera über ihre Erlebnisse und Erfahrungen. Du betonst "the importance to speak out" - welche Öffentlichkeit hat das Thema Schwangerschaftsabbruch derzeit? Und wie vergleichst du die Öffentlichkeit in Deutschland damit? Zwar war Abtreibung ein Hauptmotiv für die westliche Frauenbewegung in den 60er und 70er Jahren aber seither ist es relativ still darum geworden. Sogar Anfang der 90er Jahre als in Deutschland das Gesetz im Zusammenschluss von Ost- und Westdeutschland zwischen den Parteien neu ausgehandelt wurde, gab es kaum feministische Mobilisierung für eine komplette Legalisierung des Abbruchs. Abtreibung ist hier immer noch illegal aber geduldet, deshalb kann der Zugang dazu willkürlich erschwert werden. Die Zwangsberatung stellt in dem Zusammenhang ein großes organisatorisches Problem gerade im ländlichen Gebiet dar. Außerdem müssen jährlich noch etwa 1300 deutsche Frauen nach Holland reisen, um eine sichere Abtreibung zu bekommen und es gibt auch hier viele Fälle, wo arme und illegalisierte Frauen versuchen selbst einen Abbruch vorzunehmen, was schlimme gesundheitliche Risiken birgt. Ich denke es muss hier genau im Auge behalten werden wie sie bereits international verbetzte Abtreibungsgegner auch hier organisieren und versuchen die Diskurshoheit über Abtreibung zu gewinnen. Gerade wurde ein Urteil des Bundesgerichtshofes gefällt, dass besagt, dass ein Arzt einer Abtreibungsklinik als "Tötungsspezialist für ungeborene Kinder" bezeichnet werden darf. In städtische Klinik in Passau stellt Ärzte nur an, wenn diese ein Dokument unterschreiben, dass besagt, dass sie niemals Abbrüche vornehmen würden. Gerade wird ein neues Gestz zur Spätabtreibung verhandelt, dass auch Abtreibung allgemein in Frage stellen wird. Und in mehreren deutschen Großstädten gibt es jedes Jahr immer größere Demonstrationen von sogenannten "Lebensschützern". 3. Abtreibung ist regelrecht ein Evergreen-Thema für Feministinnen. Wie sollte der Schwangerschaftsabbruch deiner Meinung nach geregelt werden? Leider ist Abtreibung keineswegs ein Evergreenthema für Feministinnen. Auch heute ist das Thema kaum noch präsent, was meiner Vermutung nach zwei Gründe hat: Erstens fokussieren sich feministische Gruppen oder die Gender Studies entweder auf Identitätspolitik oder auf die Dekonstruktion von Geschlecht. Dabei wurde bisher außer Acht gelassen, dass sich Themen wie Abtreibung oder Verhütung sehr wohl anbieten Geschlechterkonstruktionen zu hinterfragen. Die Institution der Heterosexualität bezieht ihre natürliche Legitimation vor allem aus der zweigeschlechtlichen Reproduktion. Diese zu unterlaufen, die gesellschaftliche Konstruktion von Mütterlichkeit und Väterlichkeit zu hinterfragen und sich dem "natürlichen" Schicksal durch einen Schwangerschaftsabbruch zu verweigern, sind für die Dekonstruktion der Kategorie Gender sehr hilfreiche Tools. Aber wenn es bei feministischen Themen um sexuelle Selbstbestimmung geht wird der Schwangerschaftsabbruch da leider oft nicht mehr mitgedacht. Schwangerschaft und Abtreibung wird oft leider als Thema des Second Wave- und des Differenzfeminismus abgehakt. Zudem wird das unter jungen Feminist/innen populärere Queering normalerweise mit der Überschreitung der Geschlechtergrenzen zwischen männlich und weiblich und mit offen zur Schau gestellter sexueller Nonkonformität verbunden und nicht mit einer heimlichen Verweigerung innerhalb einer Geschlechterrolle. Zweitens glaube ich, dass Frauen suggeriert wird, dass sie nun besser mal Ruhe geben und vor allem nicht mehr auf das moralische Recht auf den Abbruch beharren sollten, so dass Frauen sich nicht mehr trauen, ein so tabuisiertes Thema offen anzusprechen und auf die ganzen Probleme der neutralen Informationsbeschaffung, der Organisation und des Zugangs zu Abbrüchen hinzuweisen. Die meisten westlichen Frauen denken eben, sie kriegen schon irgendwie einen Abbruch, wenn sie einen brauchen und wollen sich mit diesem stigmatisierten Thema nicht weiter befassen. Dabei vergessen wir auch gerne unsere Schwestern aus dem Süden, ebenso wie arme, ungebildete und illegalisierte Frauen: Weltweit stirbt laut WHO alle sieben Minuten eine Frau an einem unsicheren, weil illegalen Abbruch. Dies bezeugt nur wie groß der soziale und ökonomische Druck für Frauen bei einer ungewollten Schwangerschaft ist: Die Frauen riskieren alles dafür. Sexualität lässt sich nicht vollkommen disziplinieren, vor allem nicht wenn die Verantwortung dafür immer noch auf Frauen abgewälzt wird und auch bei gewissenhafter Verhütung kann es zu Pannen kommen. Da Frauen immer der Willkür von Gesundheitspersonal und Politikern ausgesetzt sind, denke ich ist es sogar notwendig ein Recht auf Abtreibung zu formulieren und es endlich aus dem Strafgesetzbuch rauszuholen. - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - Missy Magazine 2/März 09 Interview mit der Regisseurin Sarah Diehl über ihren Dokumentarfilm Abortion Democracy - Poland/South Africa Missy-Website Dein Film zeigt die Situation in Polen und Südafrika. Warum hast Du diese beiden Länder gewählt? Ich wollte zeigen, wie unterschiedlich das Thema Abtreibung in demokratischen Gesellschaften bewertet wird und wie sich das auf das Leben von Frauen auswirkt. Polen und Südafrika sind dafür gute Beispiele, weil beide Länder erst vor relativ kurzer Zeit ihre Abtreibungsgesetze geändert haben: Die Solidarnosc Regierung in Polen hat Anfang der 90er Jahre Abtreibung fast vollständig illegalisiert, da sie sich somit die Unterstützung der katholischen Kirche sichern wollte. Südafrika hat es im Zuge der Reform des Gesundheitssystems nach dem Ende der Apartheid legalisiert. Wie hat sich die Situation in den beiden Ländern danach geändert? Das Interessante ist, dass die Zahl der Abtreibungen und der Zugang zu sicheren Eingriffen nicht nur damit zusammen hängen, ob Abtreibungen legal oder illegal sind. In Polen ist es etwa trotz der Strafbarkeit relativ leicht, an eine sichere Abtreibung zu kommen, für ein entsprechend hohes Honorar bieten viele Ärzte den Eingriff an. In Südafrika, wo Abtreibungen dagegen offiziell legal sind, haben es Frauen viel schwerer, Zugang zu Informationen und sicheren Eingriffen zu bekommen, weil die Mentalität des Gesundheitspersonals in den Krankenhäusern nach wie vor konservativ und wertend ist und die Gesundheitsversorgung allgemein sehr schlecht ist. Wichtiger als die Gesetzgebung ist also ein Mentalitätswandel? Ja. Nur ein fundamentaler Wandel der Einstellung zu Abtreibung und Verhütung kann sicherstellen, dass Frauen tatsächlich die Möglichkeit haben, sich für oder gegen eine Schwangerschaft zu entscheiden. Wenn Ärzte sich aus moralischen Gründen weigern, den Eingriff durchzuführen oder die Pille herauszugeben, hilft auch eine gesetzliche Legalität des Abbruchs nicht. Was bedeutet das denn für die Situation in Deutschland? Abtreibung ist hier immer noch illegal aber geduldet, deshalb kann der Zugang dazu willkürlich erschwert werden. Die Zwangsberatung stellt in dem Zusammenhang ein großes organisatorisches Problem gerade im ländlichen Gebiet dar. Außerdem gibt es immer noch viele Fälle, wo Frauen nach Holland mussten oder wo arme und illegalisierte Frauen versuchen selbst einen Abbruch vorzunehmen, was schlimme gesundheitliche Risiken birgt. Abtreibungsgegner behaupten, dass man mit einem Verbot die Zahl der Abtreibungen senken könne. Nein. Die internationalen Zahlen zeigen, dass Illegalisierung nicht dazu führt, dass weniger abgetrieben wird, denn der soziale und ökonomische Druck einer ungewollten Schwangerschaft ist zu groß. Es bedeutet nur, dass mehr Frauen bei illegalen Abtreibungen ihr Leben riskieren und finanziell ausgebeutet werden. Laut der WHO stirbt alle sieben Minuten eine Frau an den Folgen einer illegalen Abtreibung, Viele davon sind Mütter, lassen also Kinder zurück. Das muss man sich mal bewusst machen. Das einzige, was die Zahl der Abtreibungen senkt, ist bessere Aufklärung und leichterer Zugang zu Verhütungsmitteln und auch eine erhöhte Verantwortlichkeit der Männer. Wen willst Du mit dem Film erreichen? Zum einen Gesundheitspersonal, also Ärztinnen, Hebammen, Pfleger und Apotheker, denn nur wenn diese Menschen Abtreibung als Menschen- und Frauenrecht wahrnehmen, werden Frauen auch Zugang zu einer sicheren Versorgung haben. Meine andere Zielgruppe sind PolitikerInnen - in Deutschland, aber auch auf EU-Ebene und bei der UNO. Ich will, dass sie sich der Verantwortung für ihre Bürgerinnen wieder bewusst werden, die Frage stärker aus der Perspektive der betroffenen Frauen sehen, anstatt nur Spekulationen über potentielles Leben anzustellen, die Frauen entmündigen. Die Abtreibungsgegner zeigen gerne Bilder von blutigen Föten. Du zeigst in Deinem Film eine Polin, die blind geworden ist, weil ihr eine Abtreibung versagt wurde. Ist das nicht polemisch? Alicja Tysiac ist in Polen ein prominenter Fall, weil sie vor dem Europäischen Gerichtshof gegen ihre Regierung klagt. Ich finde es wichtig diesen Fall zu dokumentieren, weil er zeigt, wie extrem die Situation in Polen ist, da die alleinige Fokussierung auf die Rechte des Fötus/Embryos dazu führen, dass die körperliche Integrität von Frauen völlig ausgeblendet wird. Aber ich trete dafür ein, dass alle Frauen ohne Begründung und Entschuldung Zugang zu einem Abbruch haben. In England dürfen Frauen übrigens mit Hinblick auf die medizinischen Erkenntnisse über den Fötus bis zur 24.Woche abtreiben. Er sieht zwar äußerlich sehr menschenähnlich aus, es besteht aber noch kein Gefühl oder Bewusstsein. "Abortion Democracy: Poland/South Africa" * Deutschland 2008* Regie und Kamera: Sarah Diehl * 50 Min. * www.abortion-democracy.de - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - Malmoe /Wien, März 2009 In deinem Doku-Film "Abortion Democracy" stellst du die herrschende Abtreibungspolitik in Südafrika der in Polen gegenüber. Warum hast du gerade diese Länder ausgewählt? Ich wollte zeigen, wie unterschiedlich reproduktive Rechte und körperliche Selbstbestimmung von Frauen in demokratischen Gesellschaften bewertet wird und wie sich das auf das Leben von Frauen auswirkt. Polen und Südafrika sind dafür gute Beispiele, weil beide Länder erst vor relativ kurzer Zeit ihre Abtreibungsgesetze geändert haben: Die Solidarnosc Regierung in Polen hat Anfang der 90er Jahre Abtreibung fast vollständig illegalisiert, da sie sich somit die Unterstützung der katholischen Kirche sichern wollte. Abtreibung wird weltweit von politischen Parteien instrumentalisiert, um Wählerstimmen zu bekommen, - das passiert gerade vor allem in Nord- und Südamerika ganz massiv. Das Beispiel Polen steht dafür exemplarisch. Südafrika hat es im Zuge der Reform des Gesundheitssystems nach dem Ende der Apartheid legalisiert, da sie die Ungerechtigkeit und Notwendigkeit gerade für arme Frauen anerkannten. Hier zeigt sich aber, dass der Zugang zu sicheren Eingriffen nicht nur damit zusammen hängt, ob Abtreibungen legal oder illegal sind. Frauen haben es dort oft schwer, Zugang zu Informationen und sicheren Eingriffen zu bekommen, weil die Mentalität des Gesundheitspersonals konservativ und wertend ist, die Gesundheitsversorgung allgemein eher schlecht ist und sie durch einen Mangel an Sexualaufklärung und dem Bewusstsein auf das Recht ihrer körperlichen Selbstbestimmung oft gar nicht wissen, wie und wo sie sich nach der Möglichkeit eines Abbruchs Informationen bekommen. Der Film kommt zum Schluss, dass illegale Abtreibungen in Polen leichter zugänglich sind als legale Abtreibungen in Südafrika. Was bedarf es, damit liberale Gesetzgebungen zum Schwangerschaftsabbruch wie etwa in Südafrika auch tatsächlich in der Praxis Fuß fassen können? In Polen ist es trotz der Strafbarkeit relativ leicht, an eine illegale aber sichere Abtreibung zu kommen: für ein entsprechend hohes Honorar bieten viele Ärzte den Eingriff an. Deshalb haben sie auch ein großes Interesse, dass Abtreibung illegal bleibt, da es einen großen Nebenverdienst für sie darstellt und oft sprechen sie sich öffentlich gegen Abtreibung aus, um ihre scheinbare moralische Überlegenheit dadurch zu beweisen. Dies verdeutlicht, dass nur ein fundamentaler Wandel der Einstellung zu Abtreibung und Verhütung sicherstellen kann, dass Frauen tatsächlich die Möglichkeit haben, sich für oder gegen eine Schwangerschaft zu entscheiden. Das Gesundheitspersonal muss sich in Bezug auf reproduktive Rechte von Frauen ihrer Verantwortung für ihre Patientinnen bewusst werden. Das fällt aber schwer, denn Abtreibung ist in den meisten Ländern, auch hier, noch nicht mal Thema in der Ausbildung von Frauenärzten. Mediziner müssen sich also erst selbst für eine Weiterbildung diesbezüglich entscheiden, wovor viele zurückschrecken, da das Thema so stigmatisiert ist. Wenn ärzte sich aus moralischen Gründen weigern, den Eingriff durchzuführen oder die Pille herauszugeben, hilft auch eine gesetzliche Legalität des Abbruchs nicht. Und es ist immer leichter sich als Lebensschützer mit der Projektion auf ein "errettetes Kind" zu inszenieren, als die Lebensrealität von Frauen anzuerkennen. Abtreibungsgegner, die versuchen die Diskurshoheit über Abtreibung zu gewinnen, wissen das auch und versuchen gezielt ärzte auf ihre Seite zu ziehen. Darin sehe ich eine große Gefahr, denn ärzte haben eine große Macht wenn es um die Manipulation von Informationen über Abtreibung geht. Die Zwangsberatung in Deutschland und österreich sehe ich diesbezüglich als besonders problematisch. Davon abgesehen, dass sie ein großes organisatorisches Problem gerade im ländlichen Gebiet dar stellt, ermöglicht sie es, Frauen, die bereits eine Entscheidung getroffen haben, mit Schuldszenarien ins Gewissen zu reden. Und sich schuldig zu fühlen ist ja für die Zurichtung von Frauen in unserer Gesellschaft konstitutiv, damit sie umsonst arbeiten, sich aufopfern etc. Man muss sich bei Diskussionen um Abtreibung immer vor Augen halten, dass die Illegalisierung nicht dazu führt, dass weniger abgetrieben wird, denn der soziale und ökonomische Druck einer ungewollten Schwangerschaft ist zu groß. Es bedeutet nur, dass mehr Frauen bei illegalen Abtreibungen ihr Leben riskieren und finanziell ausgebeutet werden. Laut der WHO stirbt alle sieben Minuten eine Frau an den Folgen einer illegalen Abtreibung. Das einzige, was die Zahl der Abtreibungen senkt, ist bessere Aufklärung und kostenloser Zugang zu Verhütung und auch eine erhöhte Verantwortlichkeit der Männer. Da Frauen immer der Willkür von Gesundheitspersonal und Politikern ausgesetzt sind, denke ich ist es sogar notwendig ein Recht auf Abtreibung zu formulieren und es endlich aus dem Strafgesetzbuch rauszuholen. "Abortion Democracy" wird u.a. thematisiert, dass sich unter der repressiven Politik neue Allianzen gebildet haben bzw. Kooperationen verstärkt wurden, etwa zwischen Pro-Choice-Gruppen und Queer-Aktivist_innen. In Südafrika gibt es solche Allianzen leider nicht. Dort hatte die mehrheitlich weiße und eher elitäre LGTB Bewegung davor zurückgeschreckt während der Apartheid weitere Politikfelder wie reproduktive Rechte von schwarzen armen Frauen anzunehmen, da sie sich nicht selbst Steine in den Weg ihrer Emanzipation legen wollten, in dem sie sich ‹auch nochñ um die Rassenproblematik kümmern. Diese Trennung ist leider bis heute existent und bei allen kleinteiligen Bemühungen, muss man sich darüber im Klaren sein, dass die Segregation zwischen Weiß und Schwarz und die Ignoranz, die dadurch entsteht, dort immer noch das Gesellschaftsbild prägt. Dafür funktionieren solche Allianzen in Polen, weil sich dort zivilgesellschaftliche Bewegungen in den 90er Jahren parallel entwickelt haben. Dort kooperieren oppositionelle gewerkschaftliche Verbände, die Abtreibung auch als Klassenproblem besonders von armen Frauen auffassen und Gruppen, die zum Thema körperliche Selbstbestimmung arbeiten, wie queere Aktivisten, LGTB-Leute und Frauenrechtlerinnen, weil sie erkannt haben, dass man reproduktive Rechte mit einem ganzheitlichen Ansatz von ökonomischen Zwängen und sexueller Selbstbestimmung begreifen muss. Ich denke, die Leute hier sollten sich daran ein Beispiel nehmen, da, so wichtig dekonstruktivistische Ansätze auch sind, der alleinige Fokus darauf der Analyse und dem Angreifen realer Unterdrückungserfahrungen von Frauen den Raum nehmen. Es gibt hier keine feministische Mobilisierung für eine Legalisierung des Abbruchs. Abtreibung ist hier immer noch illegal aber geduldet, deshalb kann der Zugang dazu willkürlich erschwert werden. Jährlich müssen noch etwa 1300 deutsche Frauen nach Holland reisen, um eine sichere Abtreibung zu bekommen und es gibt auch hier viele Fälle, wo arme und illegalisierte Frauen versuchen selbst einen Abbruch vorzunehmen, was schlimme gesundheitliche Risiken birgt. Frauen wurde erfolgreich suggeriert, dass sie mal Ruhe geben und nicht mehr auf das (auch moralische) Recht auf den Abbruch beharren sollten, so dass Frauen sich nicht mehr trauen, ein so tabuisiertes Thema offen anzusprechen. Die Stigmatisierung von Abtreibung hat Methode und macht Frauen am verletzlichsten, denn sie können auf ihre Probleme nicht hinweißen und Lösungen einfordern. Interview: Vina Yun - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - Radio Corax /Halle, 07. 05. 2009 Sarah Diehls Film Abortion Democracy Interview mit der Regisseurin, 20:45 min, mp3 Der Stream ist zu finden auf der Website von RADIO CORAX. - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - Motor FM Interview mit Sarah Diehl vom 10.11.08, 5 min. Teil 1, mp3, 5 mb | ||||